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Lukas
Bärfuss ist kein Unbekannter mehr.
Seine Theaterstücke haben ihn ihn weit herum
bekannt gemacht. Meienbergs Tod wurde
2001 als Geniestreich hoch gelobt. Zuletzt ist
ihm für das Stück August 02,
das er mit Samuel Schwarz und der Theatertruppe
400asa für den Schweizer Nationalfeiertag
schrieb und inszenierte, zweispältiges Echo
zuteil geworden. Mit der Novelle Die toten
Männer debütiert er nun auch als
Prosaautor. |
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Bequemlichkeit aus Ekel an der
eigenen Passivität
Lukas Bärfuss ist nicht bekannt
dafür, dass er ein Blatt vor den Mund nimmt. In dem
von ihm mitverfassten Codex.02 des Kulturkollektivs
400asa heisst es unumwunden: Wir sind überdrüssig
der Grenzen, der Fahnen, der Kriege. Verbrennt eure
Pässe!
Wer auf solche Ungebärdigkeit
gehofft hat, wird von Bärfuss Prosadebüt
enttäuscht sein. Zumindest anfänglich. Es geht
weder um Politik, soziale Kämpfe und kollektiven Widerstand.
Nur um Überdruss, um den Ekel eines Einzelgängers,
den sein Wohlstand nicht glücklich macht. Er fühlt
sich im Gefängnis der Liebe festgesetzt.
Gefangene wollen ausbrechen, wenn
sie ihrer Gefangenschaft gewahr werden. Der erfolgreiche
Buchhändler hat diesen Schritt getan. Er ist aus dem
heimischen Idyll ausgezogen. Er lässt Danielle, die
schöne Frau, und die liebe Tochter Sonja zurück,
um in einer notdürftig eingerichteten Eigentumswohnung
die Freiheit zu suchen.
Ein Theater des Bösen
Der Mann ist ein Wohlstandsopfer,
er fühlt sich von seinem Erfolg und dem guten Ruf,
den er geniesst, angewidert. Alles ist reine Attitüde.
Rettung dagegen verheisst einzig ein Leben in völliger
Leidenschaftslosigkeit. Er versucht sich darin einzuhüllen
und sich einzureden, dass alles einerlei wäre. Doch
Barfuss Erzähler ist kein Meursault, der Fremde
bei Camus.
Nicht das Leben, sondern sein Gleichmut,
seine Kälte erweisen sich mehr und mehr als Attitüde.
Es sind dieselben Eigenschaften, für die man
einem Menschen liebt und später hasst, redet
er sich ein, um sich vor Danielle zu schützen. Doch
dies ist kaum mehr als eine Paraphrase auf Camus: Alle
gesunden Menschen wünschten mehr oder weniger den Tod
derer, die sie liebten.
Vielleicht liegt ein Grund dafür
in der Tatsache, dass auch er die Mutter in eine reiche
Residenz abgeschoben hat, aber sie lebt, scheint vital und
beherrschend. Im Grund kuscht er vor ihr, wie er sich überhaupt
vor äusseren Anforderungen fürchtet. Danielle
besitzt einen Zauber, dem er nicht widerstehen zu können
glaubt.
Die Gelassenheit, der Ekel ist ein
Spiel. Auch dann noch, wie er mit dem Freund seiner Tochter
ins Gebirge geht. Er kehrt allein zurück (vom Berg,
wie Sisyphos, unbefreit). Was geschehen ist, bleibt ungelöst.
Insgeheim hofft das Ich hofft darauf,
dass es für schuldig am Tod gesprochen wird, als Mörder
veruteilt wird und so wie Meursault in der gefangenschaft
seine wirkliche ersehnte Freiheit gewinnt. Vergeblich. Die
Tragik von Bärfuss Helden besteht darin, dass
er als Täter gar nie in Frage kommt, dass ihm, dem
guten Bürger, die böse Tat nicht zugetraut wird,
sein Ekel nichts ist als eine Maske des Bösen, die
er sich vor dem Spiegel überstülpt, von andern
aber höchstens als Unduldsamkeit wahr genommen wird.
So geht das Leben hin und er findet seine Ruhe wieder, indem
er sich von Danielle retten lässt.
Höhepunkt im Nebel
Die toten Männer
ist eine zu Beginn eher spröde Novelle, deren formale
wie sprachliche Sorgfalt überzeugt, hin und wieder
aber um eine Tick zu sorgfältig wirkt. Nicht ganz jedes
Bild, jede Formulierung wirkt restlos glücklich gesetzt.
In der Rückperspektive, aus der das Ich erzählt,
wirkt die eine oder andere Stimmung allzu überstürzt
emotional.
Im Stil widerspiegelt sich das Ringen
um Gelassenheit, der sich der Erzähler auszusetzen
beliebt. Je mehr wir Zeuge werden dessen, umso eindringlicher
werden wir vom rhetorischen Maelstrom ergriffen. Bis hin
zum Höhepunkt, der von mysteriösem Nebel umhüllt
bleibt. Unterschwellig erzeugt die sprachliche Maskerade
eine gedämpfte fiebrige Spannung. Sie erfordert, verdient
Aufmerksamkeit.
Mag das Ich auch nicht mehr lesen,
den Fremden hat der Buchhändler ebenso
intus wie Büchners Lenz. Doch deren Entschiedenheit
und Festigkeit geht ihm ab. Sein Ekel bleibt reine Attitüde,
angelesen und nachgelebt: literarische Mimikry. Es ist nichts
mit der existentialistischen Not und Wut. Mehr noch: zu
solcher ist das Ich gar nicht fähig, seine Haltung
bleibt reine Attitüde, Mimikry; in der Bequemlichkeit
vermag er keinen harten, für sich einschneidenden Entscheid
zu wagen.
So resigniert er, aus Bequemlichkeit
versöhnt, vor Danielle, die ihn liebend zurück
gewinnt und der auch er aus Gewohnheit seine Liebe gesteht.
Vor allem aber vor der Mutter, die er bewundert für
das Mass ihrer menschlichen Kälte.
So behält diese Novelle am Ende
doch etwas von der Ungebärdigkeit, die sich anders
in besagtem Manifest ausdrückt. Was anfänglich
enttäuscht, erweist sich am Ende als Qualität.
Bärfuss verweigert die äusserlich starken Signale.
Vielmehr ist eine ganz gewöhnliche Deprimiertheit mit
den herrschenden Verhältnissen, die im Ich-Erzähler
tobt, denen er sich zugleich sehr gerne ergibt.
Beat Mazenauer
Page créée
le: 23.08.02
Dernière mise à jour le 23.08.02
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