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Lukas Bärfuss
Lukas Bärfuss: Die toten Männer. Novelle. Edition Suhrkamp, Frankfurt 2002.

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  Lukas Bärfuss / Die toten Männer
 

 

„Ich bewunderte sie für das Mass ihrer menschlichen Kälte und für die Eindeutigkeit, mit der sie ihren Lebensüberdruss zeigt.“

Lukas Bärfuss: Die toten Männer. Novelle. Edition Suhrkamp, Frankfurt 2002.

  Bequemlichkeit aus Ekel an der eigenen Passivität

Lukas Bärfuss ist kein Unbekannter mehr. Seine Theaterstücke haben ihn ihn weit herum bekannt gemacht. „Meienbergs Tod“ wurde 2001 als Geniestreich hoch gelobt. Zuletzt ist ihm für das Stück „August 02“, das er mit Samuel Schwarz und der Theatertruppe 400asa für den Schweizer Nationalfeiertag schrieb und inszenierte, zweispältiges Echo zuteil geworden. Mit der Novelle „Die toten Männer“ debütiert er nun auch als Prosaautor.

Bequemlichkeit aus Ekel an der eigenen Passivität

Lukas Bärfuss ist nicht bekannt dafür, dass er ein Blatt vor den Mund nimmt. In dem von ihm mitverfassten „Codex.02“ des Kulturkollektivs 400asa heisst es unumwunden: Wir sind überdrüssig der Grenzen, der Fahnen, der Kriege. „Verbrennt eure Pässe!“

Wer auf solche Ungebärdigkeit gehofft hat, wird von Bärfuss’ Prosadebüt enttäuscht sein. Zumindest anfänglich. Es geht weder um Politik, soziale Kämpfe und kollektiven Widerstand. Nur um Überdruss, um den Ekel eines Einzelgängers, den sein Wohlstand nicht glücklich macht. Er fühlt sich im „Gefängnis der Liebe“ festgesetzt.

Gefangene wollen ausbrechen, wenn sie ihrer Gefangenschaft gewahr werden. Der erfolgreiche Buchhändler hat diesen Schritt getan. Er ist aus dem heimischen Idyll ausgezogen. Er lässt Danielle, die schöne Frau, und die liebe Tochter Sonja zurück, um in einer notdürftig eingerichteten Eigentumswohnung die Freiheit zu suchen.

Ein Theater des Bösen

Der Mann ist ein Wohlstandsopfer, er fühlt sich von seinem Erfolg und dem guten Ruf, den er geniesst, angewidert. Alles ist reine Attitüde. Rettung dagegen verheisst einzig ein Leben in völliger Leidenschaftslosigkeit. Er versucht sich darin einzuhüllen und sich einzureden, dass alles einerlei wäre. Doch Barfuss’ Erzähler ist kein Meursault, der Fremde bei Camus.

Nicht das Leben, sondern sein Gleichmut, seine Kälte erweisen sich mehr und mehr als Attitüde. „Es sind dieselben Eigenschaften, für die man einem Menschen liebt und später hasst“, redet er sich ein, um sich vor Danielle zu schützen. Doch dies ist kaum mehr als eine Paraphrase auf Camus: „Alle gesunden Menschen wünschten mehr oder weniger den Tod derer, die sie liebten“.

Vielleicht liegt ein Grund dafür in der Tatsache, dass auch er die Mutter in eine reiche Residenz abgeschoben hat, aber sie lebt, scheint vital und beherrschend. Im Grund kuscht er vor ihr, wie er sich überhaupt vor äusseren Anforderungen fürchtet. Danielle besitzt einen Zauber, dem er nicht widerstehen zu können glaubt.

Die Gelassenheit, der Ekel ist ein Spiel. Auch dann noch, wie er mit dem Freund seiner Tochter ins Gebirge geht. Er kehrt allein zurück (vom Berg, wie Sisyphos, unbefreit). Was geschehen ist, bleibt ungelöst.

Insgeheim hofft das Ich hofft darauf, dass es für schuldig am Tod gesprochen wird, als Mörder veruteilt wird und so wie Meursault in der gefangenschaft seine wirkliche ersehnte Freiheit gewinnt. Vergeblich. Die Tragik von Bärfuss’ Helden besteht darin, dass er als Täter gar nie in Frage kommt, dass ihm, dem guten Bürger, die böse Tat nicht zugetraut wird, sein Ekel nichts ist als eine Maske des Bösen, die er sich vor dem Spiegel überstülpt, von andern aber höchstens als Unduldsamkeit wahr genommen wird. So geht das Leben hin und er findet seine Ruhe wieder, indem er sich von Danielle retten lässt.

Höhepunkt im Nebel

„Die toten Männer“ ist eine zu Beginn eher spröde Novelle, deren formale wie sprachliche Sorgfalt überzeugt, hin und wieder aber um eine Tick zu sorgfältig wirkt. Nicht ganz jedes Bild, jede Formulierung wirkt restlos glücklich gesetzt. In der Rückperspektive, aus der das Ich erzählt, wirkt die eine oder andere Stimmung allzu überstürzt emotional.

Im Stil widerspiegelt sich das Ringen um Gelassenheit, der sich der Erzähler auszusetzen beliebt. Je mehr wir Zeuge werden dessen, umso eindringlicher werden wir vom rhetorischen Maelstrom ergriffen. Bis hin zum Höhepunkt, der von mysteriösem Nebel umhüllt bleibt. Unterschwellig erzeugt die sprachliche Maskerade eine gedämpfte fiebrige Spannung. Sie erfordert, verdient Aufmerksamkeit.

Mag das Ich auch nicht mehr lesen, den „Fremden“ hat der Buchhändler ebenso intus wie Büchners „Lenz“. Doch deren Entschiedenheit und Festigkeit geht ihm ab. Sein Ekel bleibt reine Attitüde, angelesen und nachgelebt: literarische Mimikry. Es ist nichts mit der existentialistischen Not und Wut. Mehr noch: zu solcher ist das Ich gar nicht fähig, seine Haltung bleibt reine Attitüde, Mimikry; in der Bequemlichkeit vermag er keinen harten, für sich einschneidenden Entscheid zu wagen.

So resigniert er, aus Bequemlichkeit versöhnt, vor Danielle, die ihn liebend zurück gewinnt und der auch er aus Gewohnheit seine Liebe gesteht. Vor allem aber vor der Mutter, die er bewundert „für das Mass ihrer menschlichen Kälte“.

So behält diese Novelle am Ende doch etwas von der Ungebärdigkeit, die sich anders in besagtem Manifest ausdrückt. Was anfänglich enttäuscht, erweist sich am Ende als Qualität. Bärfuss verweigert die äusserlich starken Signale. Vielmehr ist eine ganz gewöhnliche Deprimiertheit mit den herrschenden Verhältnissen, die im Ich-Erzähler tobt, denen er sich zugleich sehr gerne ergibt.

Beat Mazenauer

 

Page créée le: 23.08.02
Dernière mise à jour le 23.08.02

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