– Sie haben in einem Interview mit der Zürcher „Wochenzeitung WoZ“ 1989 gesagt, dass Sie seit dem 22. Altersjahr versuchen, „von der Phantasie zu leben“. Mittlerweile gehören Sie zu den nicht allzu dicht gesäten Menschen in der Schweiz, die von ihrer literarischen Tätigkeit leben können. Phantasie sozusagen als Beruf… Gibt es da manchmal Spannungen?
Eigenartigerweise habe ich das nie als Problem erlebt, sondern immer als selbstverständlich angeschaut, dass man mit seiner Phantasie etwas machen kann. Ich habe Phantasie nie als Fremdkörper empfunden, sondern als menschliches Organ. Als Kantonsschüler und als Student habe ich mir zwei Lebensmodelle vorgestellt: entweder zu studieren und Mittelschullehrer zu werden (was ich gerne gewesen wäre) oder dann – das war das Traummodell - von und mit meinen Ideen zu leben. Wenn man träumt, sollte man das nicht in der Schublade lassen, sondern probieren, ob der Traum mit der Realität kompatibel ist. Auch Lokomotivführer kann so ein Traum sein (wollte ich auch mal werden). So habe ich mit 22 Jahren ein literarisch-musikalisches Soloprogramm gemacht, „pizzicato“, und habe bei der Universität Zürich gefragt, ob ich im alten Heizungskeller auftreten könne, und der Rektor hat eingewilligt. Beim Schreiben ist es mir gleich ergangen. Ich habe als Schüler Erzählungen und Reiseberichte geschrieben und sie dem „Oltner Tagblatt“ geschickt, das sie publizierte und nach mehr fragte. Diese Ermunterungen waren wichige Posten im Orientierungslauf meines Lebens. Später habe ich mich an Otto F. Walter gewandt, der damals das literarische Programm des Luchterhand Verlags leitete, und ihm meine„Idyllen“ geschickt. Seine Antwort war: Ja, das machen wir. Erst viel später habe ich gemerkt, dass das die Ausnahme war, nicht die Regel.
– Sie sind, wirtschaftlich gesehen, eines der viel gerühmten KMU, also ein Kleines und Mittleres Unternehmen, und beschäftigen eine Mitarbeiterin für das Sekretariat. Was braucht es, um in der Kultur als KMU erfolgreich zu sein?
– Als kulturelles mittleres Unternehmen… Ich habe vom ersten Moment an von der Kunst gelebt. Dabei ist natürlich zu bedenken, dass ich mit meinen kabarettistischen Einmannprogrammen in einer anderen Sparte tätig war als der rein literarische Autor. Das geht Richtung Theater, und da gibt es mehr Möglichkeiten für Auftritte. Trotzdem: die Rahmenbedingungen Mitte der sechziger Jahre waren nicht besonders günstig. Es gab wenig Fördermassnahmen für angehende Künstler, es gab keinen Dramenprozessor, keine Scuola Dimitri, kein Literaturinstitut, die Kleintheater-Vereinigung (KTV) und ihre Künstlerbörse existierte noch nicht. Das „fauteuil“ in Basel, die „Rampe“ in Bern, Emils „Kleintheater“ in Luzern, das waren reine Privatinitiativen, und dort fühlte ich mich zu Hause. Heute ist das ja anders. Überall wo eine Fabrik zugeht, geht ein Kulturzentrum auf, und es gehen ja viele Fabriken ein … Es gibt mehr Leute, die ihrer Kreativität den Lauf lassen. Wir haben eine bedeutend freundlichere Kulturlandschaft als in den sechziger Jahren. Aber natürlich konnte ich als Künstler nicht auf wirtschaftliche Sicherheit zählen, und meine Eltern erschraken schon ein wenig, als ich die Laufbahn des Freischaffenden wählte. Diese wirtschaftliche Sicherheit gibt es mittlerweile auch in den sogenannt bürgerlichen Berufen nicht mehr. Die Künstler haben da gewissermassen vorgespurt…Dass man Erfolg haben muss, gehört allerdings zum freien Schaffen.
– Worauf führen Sie Ihren Erfolg zurück?
– Ich habe immer versucht, das zu machen, was mir vorgeschwebt hat. Ich habe versucht, mein Arbeitsgebiet zu erweitern, ungewohnte Dinge zu machen, die man nicht von mir erwartet hat. Und ich habe immer versucht, für neue Ideen offen zu sein, Überraschendes zu bringen. Das schönste Kompliment war für mich, als ich einmal einen Zuschauer sagen hörte: „Was bringt er wohl heute?“ Das ist mir viel lieber, als wenn jemand sagt: „Bringt er wohl das ‚ bärndütsche Gschichtli'?“
– Aber das „ bärndütsche Gschichtli“ mit dem "Totemügerli“ figuriert weiterhin in Ihrem Repertoire?
– Ja, natürlich. Gerade heute war ich bei einer 9. Klasse, und da hat mich ein Schüler am Schluss gebeten, die Geschichte vom "Totemügerli“ zu erzählen. Und wenn ich das mache, dann bin ich mit den beiden Säufern Schöppelimunggi und Houderebäseler unterwegs im Schattegibeleggtäli. Ich bin immer mit den Figuren meiner Texte unterwegs, lebe mit ihnen, reise mit diesen Figuren im Kopf. Jeder Mensch besteht aus ganz vielen verschiedenen Figuren zwischen Clown und Held und Feigling. Sie sitzen in der Garderobe der persönlichen Bühne und warten auf ihren Auftritt. Der Künstler drückt oft aus, was seine Zuhörer ebenfalls empfinden, aber nicht ausdrücken können.
– Im eingangs erwähnten Interview haben Sie auch gesagt: „Ich war nie ein Revolutionär, ich war eher ein Spötter und Stauner.“ Bürgerliche Politiker haben Sie zu Zeiten allerdings durchaus mindestens als „bösen Linken“ angesehen. Hat Sie das überrascht?
– Ja, eigentlich schon, denn ich war ja kein 68-er, war nicht aktiv in dieser Bewegung. Ich habe mich immer auf der Seite des Lebens gesehen, habe gefragt, was lebensfreundlich ist. Sehr beeindruckt hat mich z.B. das Buch „Grenzen des Wachstums“, die 1972 veröffentlichte Studie des „Club of Rome“ zur Zukunft der Weltwirtschaft. Dieses Buch hat die Bedrohung der Umwelt erstmals umfassend aufgezeigt und die Unumkehrbarkeit gewisser Prozesse. Eines der krassesten Beispiele vom Umgang der Menschen mit technischen Errungenschaften ist die Atomkraft. Es war deshalb selbstverständlich, dass ich mich dazu äusserte, dass ich den Wahnsinn in der Normalität anprangerte. Das Bild vom unverschämten, frechen Satiriker habe ich mir in der Fernsehreihe „Denkpause“ eingehandelt. Diese viertelstündige Satiresendung wurde zwischen 1980 und 1983 in insgesamt 40 Ausgaben jeweils zur „Prime time“ ausgestrahlt, unmittelbar vor der Verbrechersuche in der Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“, und erreichte natürlich ein ungleich grösseres – und auch anderes – Publikum als meine Auftritte in Kleintheatern.
– Sie gehören einer Generation von Schweizer Autorinnen und Autoren an, die im Zeichen des gesellschaftlichen Engagements geschrieben haben. Was verbindet Sie noch heute mit diesen Autoren, was unterscheidet Sie vielleicht auch von ihnen?
– Ich bin nie von theoretischen Gesellschaftsmodellen ausgegangen und habe mir nicht programmatisch eine ideale Gesellschaft vorgestellt. Ich habe vielmehr das Ungenügen der Welt festgestellt, habe gesehen, wie die Welt nicht sein sollte. Die Ballade „Der Weltuntergang“ etwa, die ich heute den 9.Klässlern ebenfalls vortrug, war meine Reaktion auf „Grenzen des Wachstums“. Wo es mir nötig schien, ging ich auch an Protestveranstaltungen und Demonstrationen. Ich erinnere mich gerne an meinen Auftritt an der Tschernobyl-Demonstration in Gösgen mit Otto F.Walter zusammen, dem ich mich immer noch verbunden fühle. Heute fallen Autoren, die sich engagieren, leicht unter Gutmenschen-Verdacht. Deshalb freute es mich, als 700 Kulturschaffende letzten Herbst meinen Aufruf gegen das neue Asylgesetz unterschrieben. Auf einmal hatten wir wieder eine gemeinsame Stimme.
– Sie haben in Ihrer Ansprache zum Aargauer Kulturpreis 2002 ihren Grosseltern „für die Freude am Singen, Schreiben, Jassen und Lesen und für die Freude am Schönen im Leben“ gedankt. Ihre Grossmutter hat Schnitzelbankverse verfasst, von Ihrem Gossvater haben Sie ein Cello geerbt, Ihre inzwischen betagten Eltern, denen Sie einmal pro Woche das Mittagessen kochen, waren im Lehrberuf tätig. Welche Rolle spielt diese Herkunft für Ihr Leben und Schaffen?
– Ich denke, Eltern und Grosseltern hatten eine starke Wirkung auf mich. Meine Grossmutter väterlicherseits musste in der Fabrik arbeiten. Sie wäre sicher eine gute Lehrerin geworden und hat mich ermuntert zu schreiben. Der Grossvater väterlicherseits war Webmeister, wurde immer ausgebeutet, hat aber seine Heiterkeit behalten. Der Grossvater mütterlicherseits war Verdingkind und hatte eine schwere Jugend, schaffte es aber bis ans Technikum Burgdorf. Dann wollte er sich den Traum erfüllen, Cello zu spielen, und liess sich ein Cello bauen. Nach zwei Unterrichtststunden musste er zur Kenntnis nehmen, dass seine Hand zu klein war für das Cellospiel. Jahrelang stotterte er in Raten den Kaufpreis seines Cellos ab, das ich später von ihm bekommen habe und immer noch benutze. Ich kann den Traum meiner Grosseltern verwirklichen, kann schreiben, habe Wirkung damit – und kann davon leben, und besser als sie.
– Sie bezeichnen sich als Optimisten. Wenn ich aber Ihre Gedichte lese, habe ich den Eindruck, sie seien pessimistischer als Ihre Prosatexte, trauriger, melancholischer.
– Gedichte sind meistens schon an sich melancholisch. Jedenfalls sind sie auf meiner Bühne die Darsteller der Melancholie.
- In der Buchausgabe wird dieses Dossier durch einen unpublizierten oder unübersetzten Text vervollständigt.
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