Die Provinz ist überall
Pedro Lenz, Beat Sterchi
und auch Jürg Halter
Die Provinz ist nicht das Lieblingskind
der Literatur. Sie zieht die Metropolen vor, wo die grossen
Themen und die grossen Schriftsteller wohnen. Diese besuchen
von Zeit zu Zeit die Provinz, um die poetische Inspiration
aufzufüllen. Weit ab von der Metropole, im ländlichen
Städtchen Langenthal, ist auch Pedro Lenz geboren.
Die Provinz hat ihn hervorgebracht, das Provinzielle ist
ihm mit der Muttermilch ins Blut übergegangen. So erstaunt
es nicht, dass ausgerechnet dieser Pedro Lenz ein "Kleines
Lexikon der Provinzliteratur" verfasst hat, das ebensogut
eine grosse Einführung ins helvetische Literaturschaffen
genannt werden könnte.
Pedro Lenz
Das Werk soll, so das Vorwort zur
1. Auflage, "den zahlreichen Autorinnen und Autoren
zur Ehre gereichen, die in den vergangenen Jahrzehnten die
Provinz literarisch veredelt haben, ohne dabei immer die
Beachtung erhalten zu haben, die sie zweifellos verdient
hätten". Was Lenz zusammen getragen hat an literarischen
Preziosen, von Sandra Ammon bis Albrecht Zryd, ist die Visitenkarte
eines Landes, in dem die Schrebergärten bis ins Stadtzentrum
wuchern. Der Autor hat sich im häufig verkannten Schrifttum
von Albin Blum, Mathilde Ellenberger-Ellenberger, Prudenz
Meister und wie sie alle heissen, kundig gemacht, eloquent
weiss er ihnen gerecht zu werden. Vor allem redet er ihnen
genüsslich nach dem Mund, wenn er aus ihren Werken
zitiert. Natürlich ist dies alles frei erfunden. Zwar
gelingt der Spagat zwischen lexikalischer Nüchternheit
und fabulierendem Witz nicht ganz: die Beiträge zu
den einzelnen Namen bleiben etwas zaghaft in der Mitte stecken:
sie sind weder richtig kühle Lexikoneinträge noch
lsutvolle Satiren.
Dennoch: Auf vergnügliche Weise bedient Pedro Lenz
die trefflichen Klischees, die über die mindere literarische
Kunst kursieren - um im Endeffekt doch nicht ganz falsch
zu liegen. Zum einen, weil die literarische Produktion tatsächlich
zu schönen Teilen zu Lasten der Provinzliteratur geht;
zum zweiten, weil Lenz seine Ironie unterschwellig mit feiner
Empathie polstert. Denn wo alles Provinz ist, ist alle Literatur
provinziell. Spätestens im Kapitel "Rock'n'Roll-Literatur
der helvetischen Provinz" wird dies offenkundig. Bloss
"furt vo hie / wenn u wie".
Pedro Lenz beweist, dass er sich nicht nur in der Mundartliteratur
bestens auskennt, vor allem weiss er selbst die lautmalerische
Qualität der Dialekte auszuschöpfen.
Eine CD mit Texten ist ebenfalls kürzlich erschienen.
"I wott nüt gseit ha" heisst sie vielsagend.
Lenz erzählt darin 20 Mal von Aussenseitern, die gut
und gern "es bar bier i de bere" haben oder die
Fassung verlieren angesichts "vo chlikarierte Tröim
vo Wellness-Ferie" und anderen Anpässlichkeiten.
In ihrem kümmerlichen Ärger halten sie sich schlecht
und recht. Die rhythmisch alliterierenden Wortgewitter werden
dabei zum Selbstzweck, nicht weil der Autor es so will,
sondern weil die Sprechenden sich selbst daran festhalten,
um nicht den Faden ihrer Rede zu verlieren. Denn dies ist,
"botz bombe", vielleicht das Letzte, was sie noch
im Griff haben. "Blos mer is Bürzi du Brunzbrunne".
Die Allitteration ist das alltagspoetische Zaubermittel,
dessenwir uns nur allzu gerne bedienen, weil es immer wirkt.
Beat Sterchi
Im Text "Bärg und Tau"
schlägt Pedro Lenz den Bogen zu einem anderen Berner,
der sich in den letzten Jahren einen Namen als virtuoser
Interpret des bernischen Sprachklangs gemacht hat. Beat
Sterchi intoniert auf : Beat Sterchi. Sein Werk heisst kurz
und bündig "Bitzius". In diesem Titel steckt
ein Programm. Sterchi umkreist in seinen Texten das Werk
von Jeremias Gotthelf, doch versucht er dabei ein anderes,
nicht verharmlosendes Bild des Emmentaler Epikers zu vermitteln.
Mehr als den Prediger interessiert ihn der Sprach- und Beschreibungskünstler,
der das Emmental in seinen besten Büchern überhaupt
erst zum Leben erweckte. "Jö dr Gotthäuf!",
die mehrfach rhythmisch wiederholte Eingangszeile verlacht
deshalb nicht das Vorbild, sondern seine Bewunderer, die
ihn für ihr "bluemets Trögli"-Heimatbild
zweckentfremden.
"Gott häuf / Gott häuf üs / Gott häuf'is
im Stau / Gott häuf'is bym Säiä". Mit
sparsamsten Mitteln entzaubert Sterchi das "Gotthäuferlis
überau", um an dessen Stelle die hohe Sprachkunst
des Meisters aus dem Emmental anklingen zu lassen. Etwa
in den wunderbaren Gotthelf-Alphabeten: "gäng
gaagge gaggle gangle gäng / gränne graue gruchse
/ hämpfele harze heuschä / item".
Sterchi collagiert, komponiert und zitiert mit Lust, um,
wie es in der hübschen Begleitbroschüre zur CD
heisst, einen literarischen Zugang zu Bitzius alias Gotthelf
zu schaffen. Sein Vortrag wird dabei virtuos begleitet und
klanglich untermalt von der Jazz-Formation No Square, vom
Akkordeonisten Adi Blum und von Susi Wirth (Stimme). Sie
alle haben anderes im Sinn als Heimattöne.
Wir sprechen Mundart, und wir schreiben
Hochsprache. Die Differenz ist wesentlich. Die Mundart entfaltet
ihre schönste Wirkung in ihrem lautmalerischen Reichtum.
Deshalb ist es kein Zufall, dass sowohl Beat Sterchi wie
Pedro Lenz, unabhängig voneinander, ihre neuesten Texte
auf CD veröffentlicht haben.
Für beide gilt, nicht ohne Ironie, was Lenz spricht:
Man muss "das erb verwaute, das schöne schöne
schöne schöne schöne aute bärndütsch
ned lo verluedere, wes doch so schön esch". "Vo
Tau" aus betrachtet klingt dies indes fast verräterisch
"fatau".
Jürg Halter
Fatal bernerisch klingt auch einer,
der sich aus dem behäbigen Rhythmus des Berner Dialekts
eine Kunstform gemacht hat. Jürg Halter hat auf eigenwillige
Weise Bern bis an internationale Slam-Wettbewerbe vertreten.
Sein beinahe schleppender und derart zur kühlen Lakonie
neigenden Vortragsstil ist zu seinem Markenzeichen geworden.
Bisher haben wir Jürg Halter so als lakonischen Performer
unter eigenem Namen oder alias Kutti MC gekannt. Nun aber
will er es auch ernsthaft wissen. Im renommierten Ammann
Verlag ist von ihm ein ernst zu nehmendes Gedichtband erschienen,
in deme r sich von einer neuen Seite zeigt, ohne sich freilich
selbst untreu zu werden.
Naseweis verspricht er, "ich mache alles neu",
um gleich nachzuschieben: "Bitte, es war nur ein Versuch".
Jürg Halter beherrscht die lyrische Traumsprache und
setzt sich mit stoischem Gleichmut über alle Ungereimtheiten
hinweg. Seine Poesie ist frei: sie geht allein am "gehalterten
Zügel". Das wirkt (noch) nicht immer restlos zwingend,
aber oft schon souverän, seie s im Umgang mit poetischen
Metaphern und ausgeprägter noch in der Variation der
lyrischen Form. Mit diesem Buch gibt der Performer Jürg
Halter sein Versprechen ab.
Beat Mazenauer
Page créée le: 15.04.05
Dernière mise à jour le: 15.04.05
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