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Das seltsame Wesen

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„Die Kinder hätten euch beschützt, wenn ihr sie in meiner Nähe gelassen hättet. Habt ihr das Strahlen in ihren Augen nicht bemerkt? Aber anstatt Schutz darin zu erkennen, habt ihr Gefahr gesehen.“

„Wovor hätte uns dieses Strahlen beschützen können?“ fragte der Große Rat nun auch etwas ruhiger, obwohl er, wie auch sein Sohn, noch immer überwältigt von der Ausstrahlung des schönen Wesens war.

„Das kann ich euch noch nicht genau sagen. Es ist noch nicht an der Zeit.“

„Was soll dieses Gerede? Was ist noch nicht an der Zeit?“ fragte der Sohn etwas lauter.

„Ich weiß es nicht. Ich bin noch nicht vollkommen. Ich muss noch warten, bis...“. sagte das seltsame Wesen leise, wie zu sich selbst und starrte, als es den Satz abbrach, gedankenverloren zum Himmel hoch.

„Bis was? Bis keiner mehr von uns übrig ist?“ fragte der Große Rat mit trauriger Stimme.

„Das hat damit nichts zu tun“, sagte das seltsame Wesen und blickte dem Großen Rat direkt in die Augen, der diesem Blick nicht lange standhalten konnte und schnell zu Boden sah. „Dieser Hass, den ihr nun empfindet, kommt nicht von mir. Das ist alles, was ich euch sagen kann.“

„Warum hast du mehr als ein Jahr lang auf diesem Hügel verbracht?“ fragte der Sohn.

„Er war ein Platz der Kraft. Nur dort konnte ich einen Teil meiner Vollkommenheit erlangen.“

„Und warum folgst du uns nun?“ fragte der Große Rat.

„Um einen anderen Platz der Kraft zu finden, wo ich meine gesamte Vollkommenheit erlangen kann.“

„Warum liegt dieser Platz ausgerechnet auf unserem Weg?“ fragte wiederum der Sohn.

„Vielleicht kann ich euch davor retten, dass ihr in euer Verderben rennt.“

„Verderben?“ fragten Vater und Sohn wie aus einem Munde.

„Ich sagte schon, - es ist noch nicht an der Zeit. Ich bin noch nicht vollkommen. Ihr müsst noch etwas Geduld haben. Befürchtet nichts von mir. Das ist alles, was ich euch sagen kann.“

„Wir sollen dir vertrauen? Ausgerechnet dir?“ fragte der Große Rat.

„Was bleibt euch anderes übrig?“ meinte das seltsame Wesen und lächelte schelmisch. „Übrigens, wohin geht ihr?“

„Zum Volk auf der anderen Seite, - zu den Tasaniern“, antwortete der Große Rat.

„Nun gut! Dann lasst uns weitergehen“, meinte das seltsame Wesen arglos und ging voran.

Vater und Sohn sahen sich fragend an.

„Wir haben wirklich nichts mehr zu verlieren, Vater. Lass uns also gehen“, sagte der Sohn.

Der Große Rat nickte, und sie folgten dem seltsamen Wesen.

Lange Zeit gingen die drei schweigend nebeneinander her.

„Was bist du? Mann oder Frau?“ fragte der Sohn dann das seltsame Wesen, welches mit anmutigem Gang zwischen den beiden schritt.

„Ich bin viel mehr wie ein Kind“, sagte es sanft und warf dem jungen Naragener kurz einen neckischen Blick zu, der sofort errötete.

„Ein Kind? Ist deine Rasse ein Volk von Riesen?“ fragte der Große Rat.

„Nein, ich bin das einzige Wesen meiner Art.“

„Dann hast du also beide Geschlechter in dir.“

„Ist es denn von Wichtigkeit, ob ich Mann oder Frau bin? Seht mich einfach als Gegenstand an, - so wie ihr einen Baum seht. Fragt ihr euch da, ob er männlich oder weiblich ist?“

„Für uns ist es eben wichtig, ob ein Humanoide weiblich oder männlich ist. Sie sind das Höchste der Schöpfung“, sagte der Große Rat gewichtig.

„Ich wäre mir da nicht so sicher, ob humanoide Wesen das Höchste der Schöpfung sind. Auf vielen Planeten sind sie eher die Zerstörung der Schöpfung“, meinte das seltsame Wesen leise.

„Du bist ein großes Rätsel für uns. Dann hast du wohl auch keinen Namen. Oder?“ fragte der Sohn, dessen Gesichtsfarbe sich wieder normalisiert hatte.

„Ich habe sogar viele Namen, aber keiner würde euch etwas sagen. Wie nennt ihr mich, wenn ihr über mich sprecht?“

„Seltsames Wesen“, sagten Vater und Sohn wieder wie aus einem Munde.

Das seltsame Wesen lächelte.

„Gut, dann nennt mich weiterhin seltsames Wesen.“

Plötzlich blieb der Große Rat stehen und zeigte mit seiner langen, feingliedrigen Hand zum Horizont. Auch der Sohn und das seltsame Wesen blieben stehen und erkannten dort einen Wanderer. Als er immer näher kam, sahen der Große Rat und sein Sohn, dass es ein Tasanier war. Er hatte die selbe gelbliche Hautfarbe und das selbe lange, weiße Haar wie die Naragener. Der einzige Unterschied war die Kleidung. Statt weißer Toga trug er eine schwarze Toga. Tasanier trugen alle schwarze Togen.

Als der Tasanier keuchend vor ihnen stand, da er sehr schnell gegangen war, sahen sie an der Brust der Toga ein rotes Zeichen eingestickt. Es war ein Kreis, und in dem Kreis ein Sechseck. Es war das Zeichen des Druiden – des Obersten der Tasanier, der die selbe Stellung inne hatte, wie der Große Rat bei den Naragenern.

„Ich brauche eure Hilfe“, stieß der Druide noch immer keuchend hervor.

„Unsere Hilfe? Wir würden eure Hilfe brauchen, deshalb sind wir auf dem Weg zu euch“, sagte der Große Rat.

Der Druide ließ sich erschöpft am Wegrand ins weiche Gras fallen. Der Große Rat und sein Sohn taten es ihm gleich. Nur das seltsame Wesen blieb breitbeinig, mit verschränkten Armen vor der Brust, stehen. Erst jetzt nahm der Druide seine Anwesenheit wahr. Er blickte zuerst wie erstarrt auf das seltsame Wesen, dann rieb er sich die Augen und starrte es abermals an.

„Was – was ist denn das?“ fragte er verwirrt und stotternd.

„Davon später!“ sagte der Große Rat scharf. „Warum sagtest du, dass du unsere Hilfe brauchst?“

„Das ist eine lange Geschichte“, begann der Druide, den Blick noch immer auf das seltsame Wesen gerichtet, von dem er sich dachte, dass er in seinem Leben noch nichts Schöneres und Perfekteres gesehen hatte. Deshalb brauchte er mit seiner Geschichte auch etwas länger...

„Es begann vor etwas mehr als einem Jahr. Ihr wisst wahrscheinlich, dass wir sehr viele geistige Experimente machen – Geisterbeschwörungen, was uns bei anderen Völkern unbeliebt macht. Aber diese Geisterbeschwörungen sind für uns nichts Böses. Wir rufen damit auch unsere Toten an und können uns auf diese Art noch immer mit ihnen unterhalten. Nun – dann vor etwas mehr als einem Jahr passiert es. Wir saßen um das heilige Feuer und riefen wieder unsere Toten an. Aber diesmal erschien nicht das Gesicht eines unserer Toten über dem Feuer, sondern ein Gesicht, was man wirklich nicht mehr Gesicht nennen kann. Es war eine furchterregende Fratze, mit langen, gedrehten Hörnern, die immer größer wurde und sich über dem Feuer erhob, dass wir bald auch seine Gestalt erkennen konnten. Auch die Gestalt sah sehr übel aus – die Hässlichkeit kaum zu beschreiben. Dieses Wesen, vermutlich ein sehr böser Dämon, sprach zu uns mit einer unheimlichen Donnerstimme, die wir zuerst nicht verstehen konnten. Wir hatten große Angst und wagten nicht mehr zum Feuer zu sehen. Der Dämon wurde deswegen sehr böse und bewarf uns mit Feuer. Zwei von uns verbrannten hilflos, obwohl wir schnell versuchten, sie mit Wasser zu retten. Aber das Wasser zeigte keine Wirkung. Nun, so begann das Unheil. Wir wurden diesen Dämon nicht mehr los, und auch das Feuer ging nicht mehr aus. Von da an beherrschte uns der Dämon und befahl uns lauter furchtbare Dinge. Er befahl uns, unsere Liebsten zu töten...“

Der Druide schluchzte und schlug die Hände vors Gesicht.

„Er befahl mir, meine geliebte Frau zu töten und – und ich tat es.“

Der Große Rat legte beruhigend seinen Arm auf die Schulter des Druiden.

„Dann kam dieser Fluch also von euch“, sagte er und blickte verzweifelt zu dem seltsamen Wesen hoch, das regungslos dieser Geschichte zugehört hatte. „Verzeih uns, seltsames Wesen, dass wir dich in Verdacht hatten.“

„Schon gut“, sagte das seltsame Wesen und riskierte, trotz der furchtbaren Geschichte, ein kleines Lächeln. „Ich sagte ja schon, dass ich es bereits gewohnt bin, für den Teufel persönlich gehalten zu werden. Und ich denke, es ist nun Zeit, meinen neuen Kraftplatz zu finden.“

„Und wenn du diesen Kraftplatz gefunden hast, kannst du uns dann helfen?“ fragte der Sohn.

„Deshalb bin ich doch hier“, sagte das seltsame Wesen und blickte den Sohn durchdringend an, der wieder rot anlief.

„Wer ist das?“ fragte der Druide und wischte sich die Tränen von seinen vor Sorgen eingefallenen Wangen.

Der Große Rat erzählte seine Geschichte.

„Es ist nur verständlich, dass ihr Angst hattet. Wir hätten die Schuld auch auf dieses Wesen geschoben“, sagte der Druide nachher und wandte sich an das seltsame Wesen. „Weißt du schon, wie du uns helfen kannst?“

Das seltsame Wesen schüttelte lächelnd seinen Kopf.

„Weißt du, dass du es kannst?“ fragte der Große Rat.

Das seltsame Wesen nickte stumm und lächelte wieder sanft.

„Dann finde endlich deinen Kraftplatz, sonst ist diese Dimension hier bald ausgestorben“, drängte der Druide und stand auf.

„Ihr könnt mir nicht folgen“, sagte das seltsame Wesen. „Bleibt und wartet hier auf diesem Platz.“

Es fasste in seine Hosentasche und reichte dem Druiden eine Pflanze, die beinahe so schön war, wie die Rosen der Naragener. Sie trug die Farben des Regenbogens.

„Jeder von euch soll ein Blatt davon kauen. So seid ihr einige Stunden vor dem Dämon geschützt. Aber ich würde sagen, auch wenn ich euch, wenn ich wieder zurückkomme, tot hier vorfinde, wäret ihr nicht verloren.“

Mit diesen rätselhaften Worten verließ es die drei.

„Es spricht in Rätseln“, murmelte der Druide und brach ein regenbogenfarbenes Blatt von der wunderschönen Rose ab.

„Das tut es“, meinte der Große Rat, nahm das Blatt, welches ihm der Druide reichte und blickte dem seltsamen Wesen nach, wie es sich mit dem anmutigsten Gang, den er je gesehen hat, entfernte.

„Ist es männlich oder weiblich?“ fragte der Druide und sah ihm ebenfalls mit verträumten Blick nach.

„Das weiß niemand.“

„Es ist wunderschön – wie diese Rose“, sagte der Druide und brach zwei weitere Blätter ab, - eines für den Sohn des Großen Rats und eines für sich selbst.

„Ja, es ist wirklich wunderschön und bezaubernd“, sagte der Große Rat mehr zu sich selbst, währe0nd er das Blatt langsam kaute, das seinen Gaumen wie die köstlichste Speise erfreute.

Die zwei Naragener und der Tasanier saßen einige Stunden schweigend und nachdenklich im Gras und warteten auf das seltsame Wesen. Immer wieder blickten sie zum Horizont, wo es verschwunden war. Bald wurden sie ungeduldig, - aber dann, ganz plötzlich, wurde es in ihrer Mitte strahlend hell, dass sie ihre Augen mit den Händen schützen mussten. Als sie ihre Hände wieder herunternahmen, stand das seltsame Wesen vor ihnen. Sie wussten, dass es das seltsame Wesen ist, obwohl es nun blauschwarz schimmerndes Haar und bronzefarbene Haut hatte. Es trug auch nicht mehr die schön gestickten Hosen und das ebenso schön gestickte Hemd, sondern eine Toga wie sie selbst, - nur war die Toga aus grauem Leinen. Der Große Rat, sein Sohn und der Druide starrten zu ihm hoch. Das seltsame Wesen war nun noch größer geworden und überragte sie fast um zwei Köpfe.

„Jetzt kann ich zu euch sprechen“, sagte es mit einer Stimme, die allen dreien noch mehr durch und durch ging und sie noch verzückter zu ihm hochsehen ließen.

Das seltsame Wesen hockte sich grinsend zu ihnen.

„Seid ihr in der Lage, mir zuzuhören?“ fragte es noch immer grinsend, - und die drei nickten zögernd.

„Gut! Wie ich euch vorhin sagte, war ich noch nicht vollkommen, als ich auf eurem Hügel vor dem Stadttor saß. Damals hätte ich nichts für euch tun können, weil gewisse Teile meiner Bewusstheit eine andere Aufgabe zu erledigen hatten. Welche Aufgabe das war, ist unwichtig für euch – und ihr würdet sie auch nicht verstehen. Aber sie war nun mal wichtiger, als diese jetzt. Ich hätte euch aber beschützen können, wenn ihr zugelassen hättet, die Kinder weiterhin in meiner Nähe spielen zu lassen. Durch diese Nähe hätten sie Kraft von mir bekommen, - so eine Kraft, wie ihr sie nun von diesen Rosenblättern in euch habt. Warum ich diese Kraft nur auf eure Kinder und nicht auf euch selbst übertragen konnte, ist mir selbst nicht ganz klar. Aber wahrscheinlich habe ich zu Kindern eine bessere Beziehung.“

Das seltsame Wesen lächelte und sprach mit seiner überaus sinnlichen Stimme sanft weiter.

„Warum ich euch das alles damals nicht sagen konnte, war, weil ich in meiner Unvollkommenheit die Gefahr, die euch bedrohte, nicht erkannt habe. Ich erkannte also weder die Gefahr, noch diese kleine Rettung, die euch durch eure Kinder widerfahren wäre, sonst hätte ich ja auch zu euch gesprochen und gesagt, dass ihr eure Kinder in meine Nähe lassen müsst.

Nun gut! Jetzt bin ich vollkommen.

Da wäre aber noch etwas klarzustellen. Ich habe euch nicht in meinen Bann gezogen, als einige von euch mich an den Baum gefesselt haben und mir nichts antun konnten. Dass ihr mich so begehrenswert findet, liegt nicht in meinem Willen.

Ich hätte euch auch nichts angetan, als ich mich selbst von den Fesseln befreite. Aber ich musste das tun, um schnell wieder zu dem Kraftplatz auf dem Hügel zurückzukehren, weil zu dieser Zeit ein weiterer Teil meiner Bewusstheit zu mir zurück kam. Ich kann die Teile meiner Bewusstheit nur an den jeweiligen Kraftplätzen zu mir nehmen. Wenn ich nicht vollkommen bin, ist es mir nicht anders möglich.

Ich bin kein besonderes Wesen, wie ihr vielleicht nun denken mögt, denn ihr seid kaum anders. Ihr meint vielleicht, dass ihr vollkommen seid, aber ihr seid es nicht. Auch von euch existieren, irgendwo im Universum verstreut, Teile eurer Gesamtbewusstheit, die durch eure Erkenntnisse zu euch strömen werden.

Nun ja, ich bin nicht gekommen, um euch zu verwirren, sondern um euch von diesem Dämon zu befreien. Und nun lasst uns gehen, Großer Rat, Sohn des Großen Rates und erhabener Druide.“

Die drei rieben sich verwirrt die Augen und standen langsam auf.

„Wo – wohin gehen wir?“ fragte der Druide stotternd.

„Zum Feuer des Dämonen! Wohin sonst? Ich möchte seine hässliche Fratze sehen und ihn gehörig erschrecken!“ rief das seltsame Wesen lachend.

„Es ist eine schreckliche Fratze, seltsames Wesen. Ich habe noch nie schrecklicheres gesehen“, stammelte der Druide.

„Aber ich, Druide! Ich habe in die Augen Luzifers geblickt, und wenn du diesen Anblick aushältst, kannst du jedem anderen Dämon lachend in die Fratze blicken“, sagte das seltsame Wesen und grinste teuflisch.

© Elisabeth Blömer

 

Page créée le 24.08.01
Dernière mise à jour le 24.08.01

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