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Das seltsame Wesen
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Vor dem
schwarzen Stadttor der Tasanier tummelte sich aufgeregt eine
riesige Menschenmenge. Sie schienen alle zusammen Todesangst
auszustehen.
Wie hast du es geschafft, deine
Stadt zu verlassen? fragte der Große Rat den Druiden.
Das weiß ich selbst nicht.
Ich bin einfach gelaufen und gelaufen, bis ich nicht mehr
konnte, und schon hatte ich die Stadt hinter mir gelassen.
Als die Tasanier ihren Druiden und
seine Begleitung erkannten, eilten sie ihnen stürmisch
entgegen.
Das Feuer wird immer größer,
und die Macht des Dämons zwingt uns dazu, uns selbst
zu töten. Einige haben es bereits getan, - darunter sogar
Kinder, schluchzte eine ältere Frau.
Wir konnten uns retten, indem
wir gelaufen sind. Aber wir kamen nicht weiter als bis hierher.
Knapp, nachdem wir das Stadttor hinter uns gelassen haben,
zwang uns etwas, stehenzubleiben. Wenigstens konnten wir uns
beherrschen, dass wir nicht Hand an uns selbst legten, wie
manche, die in der Stadt blieben, sagte ein Mann atemlos.
Wie war es dem Dämon möglich,
seine Macht bis zu uns auszubreiten? fragte der Große
Rat.
Die Macht der Dämonen breitet
sich über das gesamte Universum aus, sagte das
seltsame Wesen leise mit dunkler Stimme, und seine schocktürkisfarbenen
Augen glühten hasserfüllt.
Es blickte in die Menge und nickte.
Dann bahnte es sich langsam einen Weg bis zum Stadttor, wo
es von erstaunten Blicken der Tasanier begleitet wurde. Viele
hörte man sagen, dass sie noch nie so ein schönes
Wesen gesehen haben, - und manche fragten, ob es ein Mann
oder eine Frau ist.
Der Druide, der Große Rat und
sein Sohn folgten dem seltsamen Wesen.
Fast schien es, als ob das seltsame
Wesen diese Stadt kennen würde. Sie war auch fast so
gebaut wie die Stadt der Naragener, bis auf die Kuppeln, wie
auch das Stadttor, die nicht aus Gold, sondern aus einem schwarzen
Edelstein, wie aus einem Stück, gehauen waren. Es zog
sich nicht nur eine breite Straße durch die Stadt der
Tasanier, sondern viele Nebenstraßen und kleine Gassen.
Zielstrebig ging das seltsame Wesen,
mit seinem unnachahmlich anmutigen Gang, der sogenannten Hauptstraße
entlang, bog in eine Seitenstrasse ein, und dann wieder in
eine Seitenstrasse, bis es rechts zu einer sehr engen Gasse
kam, wo es plötzlich vor einem großen Platz stand,
wo das riesige Feuer des Dämons hell loderte.
Die Tasanier waren kurz nach dem Stadttor
stehen geblieben und warteten gebannt. Sie wagten es nicht,
ihre Stadt weiter zu betreten. Nur der Druide, der Große
Rat und sein Sohn blieben dicht hinter dem seltsamen Wesen.
Aber nun, als es direkt vor dem Feuer stand, hielten sie sich
ängstlich im Hintergrund und verbargen sich in der engen
Gasse, von wo aus sie eine gute Sicht zum Feuer hatten.
Zeig dich, du erbärmliches,
lebloses Ungeheuer! Kämpfe mit mir, wenn du den Mut dazu
hast, Ausgeburt der Hölle! ertönte die Donnerstimme
des seltsamen Wesens und erfüllte die gesamte Stadt,
dass sich die drei zitternd vor Angst an eine schwarze Kuppel
drückten und am liebsten weggelaufen wären. Die
Stimme des seltsamen Wesen klang noch immer wunderschön
und berückend, aber sie hatte auch etwas gefährliches
an sich gefährlich aber nur für Dämonen...
Plötzlich schoss das Feuer gute
zwanzig Meter hoch auf. Riesige Flammen züngelten auf
das seltsame Wesen zu, das laut lachend einige Schritte zurückwich.
Dein Feuer kann mir nichts anhaben,
Dämon! schrie es abermals mit dieser fürchterlichen
Donnerstimme.
Dann komm ins Feuer und kämpfe
mit mir! drang eine verzerrte, tiefe Stimme aus den
Flammen, die noch höher wurden.
Gerne, wenn du es so haben willst!
Mit einem weiten Satz hechtete das
seltsame Wesen mitten ins Feuer, das nun beinahe an die hundert
Meter hoch brannte und schwarzen, beißenden Rauch verbreitete,
sodass der Druide, der Große Rat und sein Sohn nichts
mehr sehen konnten. Sie husteten und keuchten und drohten
fast zu ersticken. Aber sie hörten fürchterliches
Kreischen und Fluchen, wo sie nicht mehr so genau unterscheiden
konnten, ob es vom Dämon oder vom seltsamen Wesen kam.
Ihre Augen tränten, wohl vom Rauch, aber auch vor Trauer,
denn sie hatten große Angst um das wunderschöne
Wesen, das sie nun mehr als lieb gewonnen hatten.
Der Rauch drängte die drei zurück
in die Seitenstraße, wo sie etwas geschützter vor
den beißenden Nebelschwaden waren.
Was, wenn der Dämon es vernichtet?
fragte der Sohn bange und hustete.
Das glaube ich nicht. Habt ihr
nicht seine Augen gesehen, als es sich vor dem Stadttor zu
uns umdrehte? Sie waren so siegessicher und strahlten eine
Kraft aus, wie ich sie noch nie gesehen habe, sagte
der Druide.
Was meint ihr, was es ist? Vielleicht
ein Gott? Es kann doch niemand von uns sagen, ob es nicht
doch Götter gibt, wie unsere Vorfahren in der Urzeit
geglaubt haben. Sie glaubten an Götter und beteten diese
sogar an. In einer alten Schrift aus der Überlieferung
steht, dass einmal ein großer Gott sogar der
größte aller Götter kommen und uns
retten wird. Und er wird ein ewiges Zeichen am Himmel setzen,
sagte der Große Rat.
Das habe ich auch in der Überlieferung
gelesen. Ja, wir hätten besser die Götter beschwören
sollen, als unsere Toten, sagte der Druide bedrückt.
Vielleicht habt ihr so nebenbei
einen Gott gerufen, als der Dämon erschien, meinte
der Sohn etwas geistesabwesend.
Nein, - dieser Gott hier kam
von selbst, sagte der Druide bestimmt.
Plötzlich hörten sie gewaltige
Donnerschläge, - Blitze schossen vom Himmel zu Boden,
wo das Feuer war, - und mit einem Mal war Totenstille. Der
schwarze Nebel löste sich auf.
Die drei eilten in die Seitengasse
zum Großen Platz, wo in der Mitte das seltsame Wesen
stand und ihnen sonnig zulächelte.
Ich sagte doch, ich werde den
Dämon das Fürchten lehren, rief es ihnen lachend
entgegen.
Der Druide, der Große Rat und
sein Sohn warfen sich gleichzeitig vor ihm zu Boden und wollten
seine nackten Füße küssen.
Oh, nein! Tut das nicht!
fuhr das seltsame Wesen fast erschrocken auf und streckte
schnell seine Hände aus, um den dreien hochzuhelfen.
Ich bin weder Teufel, noch Gott.
Ich bin nur ein Wesen, das für nichts anderes geboren
wurde, um zu retten, wo es etwas zu retten gibt. Das ist meine
Aufgabe, - so wie es für euch, Naragener, eure Aufgabe
ist, euch wieder mit Freude der Kunst zu widmen, sagte
es sanft zum Großen Rat und seinem Sohn.
Und zum Druiden gewandt sprach es:
Und eure Aufgabe ist nun, eure geistigen Fähigkeiten
für euch selbst, und nicht für die Toten, zu gebrauchen.
Erforscht euch selbst, - euer Inneres, dann werdet ihr die
Geheimnisse des Universums und alle seine Wunder erkennen.
Und verschließt euch nicht mehr vor Fremden, denn auch
von ihnen könnt ihr sehr viel lernen und erkennen. Ihr
wisst ja, was Erkenntnis bedeutet. Sie ist nichts anderes
als Teile eures Selbst.
Wieder wandte es sich dem Großen
Rat und seinem Sohn zu.
Nun, und ihr, Naragener, ihr
könnt die Teile eures Selbst durch eure Kunst erkennen,
denn Kunst ist nichts anderes als die Materialisation eurer
Herzen.
Nach diesen Worten schritt das seltsame
Wesen zurück zum Stadttor, wo es von jubelnden Tasaniern
empfangen wurde. Aber es wollte keinen Jubel, denn es wehrte
mit den Armen ab und ging zielstrebig an ihnen vorbei.
Der Große Rat und sein Sohn verabschiedeten
sich vom Druiden, dem Anführer der Tasanier, und seinem
Volk und versprach, ihnen bald wieder einen Besuch abzustatten,
wobei er ihn auch gleichzeitig zu sich in die Stadt der Naragener
einlud.
Sollten wir nicht unsere beide
Städte miteinander verbinden und unsere beiden Stämme
vereinen? fragte der Druide, und der Große Rat
nickte zustimmend.
Das seltsame Wesen stand nun auf einem
etwas höheren Hügel und blickte auf die Stadt der
Tasanier herab. Es hörte, wie der Druide traurig sagte,
dass er froh wäre, dass der Fluch nun vorbei ist, aber
auch große Trauer empfindet, weil so viele sterben mussten,
- darunter auch seine Frau.
Sagte ich nicht, dass nichts
verloren ist? ertönte die laute, wohlklingende
Stimme des seltsamen Wesens vom Hügel herab. Sobald
ich verschwunden bin, wird alles wieder so sein, wie es war,
bevor das Feuer beschworen wurde. Kehrt zurück in eure
Kuppeln, und ihr werdet eure Lieben wiedersehen.
Es machte eine kleine Atempause, und
mit einem sanften Lächeln um die Lippen sprach es etwas
leiser weiter. Aber jeder verstand es, - denn jeder hielt
den Atem an, um die Stimme dieses außergewöhnlichen
Wesens in sich aufzunehmen.
Nun werde ich euch verlassen,
meine lieben Freunde. Lasst das Böse nicht mehr in eure
Herzen. Vielleicht erinnert ihr euch einmal in ferner, ferner
Zukunft an mich und bis dahin kämpft um eure Herzen,
um die Liebe, die in ihnen wohnt. Lebt wohl, Freunde!
Nein! schrie der Druide
auf, - und die meisten in der Menge stimmten mit ihm ein.
Du darfst uns nicht verlassen! Bleib bei uns!
Wozu? Meine Arbeit hier ist getan.
Oder hast du vor, abermals ein Feuer zu beschwören, um
einen Dämon zu rufen? fragte das seltsame Wesen
lächelnd.
Es ging so viel Wärme, so viel
Liebe von ihm aus, dass es jedem unter dem Volk der Tasanier
tief im Herzen schmerzte, dass es sie verlassen will. Der
Große Rat und sein Sohn weinten sogar...
Und wieder rief die Menge, mehr und
mehr unter Tränen, dass es bei ihnen bleiben soll.
Ich kann nicht bei euch bleiben,
meine lieben Freunde. Es gibt so viele andere Völker,
die meine Hilfe brauchen. Soll ich sie ignorieren, nur weil
ihr euch in mein Äußeres verliebt habt?
Ja, wir lieben dich, seltsames
Wesen, sagte der Große Rat und schluchzte herzzerreißend
auf. Aber wir lieben nicht nur dein Äußeres,
sondern auch dein gutes Herz.
Ja, wirklich? Noch vor kurzem
war ich Luzifer persönlich für dich! rief
das seltsame Wesen vom Hügel herunter und kam dann langsam
auf den Großen Rat zu.
Es nahm zärtlich seine Hände
und blickte ihm tief in die Augen.
Nein, du musst deswegen nicht
traurig sein, sagte es sanft und sehr ernst. Es
hat mich nicht verletzt. Aber du musst doch einsehen, dass
ich auch für andere da sein muss. Ich werde für
immer in euren Herzen bleiben in eurer unsterblichen
Erinnerung.
Und nun geh mit deinem Sohn zurück
in deine Stadt. Du wirst dort gebraucht, denn es steht euch
viel Arbeit bevor. Eure Große Kuppel muss wieder gefüllt
werden, denn viele Naragener werden nun hungrig und durstig
sein.
Mit gesenktem Kopf und einem tiefen
Seufzer ließ der Große Rat zu, wie das seltsame
Wesen ihm seine Hände entzog und wieder auf den Hügel
zurückstieg.
Der Große Rat winkte seinem Sohn
zu, der noch immer leise weinte, - dann machten sie sich schweren
Herzens auf den Weg. Einige Male drehten sie sich nach dem
seltsamen Wesen um, das noch immer auf der Anhöhe stand.
Nach einer Weile, als sie sich wieder
umdrehten, sahen sie am Horizont einen hellen Schein, der
sie blendete, dass sie sich kurz abwenden mussten. Sie wussten,
- das seltsame Wesen war gegangen. Als sie abermals zurückblickten,
sahen sie einen wunderschönen Regenbogen am Himmel, der
von der Stadt der Tasanier bis zur Stadt der Naragener reichte.
Der Regenbogen war so gewaltig und so schön, dass sie
beide wieder weinen mussten.
Das Zeichen am Himmel...,
stammelte der Große Rat ehrfürchtig.
Es ist dieser Regenbogen, Vater.
Ja, das seltsame Wesen ist dieser Regenbogen. Es verbindet
unsere beide Städte, - so wie du und der Druide es gesagt
habt. Und ich glaube, der Regenbogen wird für immer am
Himmel bleiben.
Nur ein Gott kann Tote wieder
zum Leben erwecken, murmelte der Große Rat und
wischte sich mit einer Hand die Tränen ab.
Ich bin kein Gott! schallte
es direkt aus dem riesigen Regenbogen. Eure Lieben waren
nicht tot. Ich hatte die Kraft, sie auf meinen Planeten zu
bringen. Jetzt sind sie wieder bei euch und warten bereits
in eurer Stadt auf euch.
Der Regenbogen flackerte kurz auf.
Dann wussten sie, dass das seltsame Wesen entgültig verschwunden
war. Doch der Regenbogen blieb für immer am Himmel...
Die beiden Städte blühten wieder auf, - schöner
als je zuvor. Die, welche für tot gehalten worden waren,
erzählten von einem wunderschönen Traum, in dem
sie sich auf einen Planeten aus Licht befunden haben. Seine
Wesen waren alle wunderschön und leuchteten heller als
die Sterne, und sie alle hatten große Ähnlichkeit
mit dem seltsamen Wesen. Es war ein Wesen von ihnen
erzählten sie aber doch war es viel mehr, denn
es war das einzige seiner Art.
Nach einigen Jahren wurde das Versprechen des Druiden und
des Großen Rats verwirklicht. Die beiden Städte
wurden vereint, und auf dem Weg, den einst der Große
Rat und sein Sohn, zusammen mit dem unvergesslichen seltsamen
Wesen gegangen waren, wurden Kuppeln gebaut, dass aus den
beiden Städten bald eine einzige, riesige Stadt wurde.
Man entschied sich, dass die Kuppeln
weder aus Gold, noch aus schwarzem Edelstein, sondern aus
weißem Stein gebaut wurden, - und die Kleidung der Naragener
und Tasanier, die sich von nun an Regenbogenmenschen nannten,
wurde einheitlich graue Togen, wie sie das seltsame
Wesen damals trug, als es vollkommen war.
© Elisabeth Blömer
Page créée le 24.08.01
Dernière mise à jour le 24.08.01
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